Beitrag verfasst von Prof. Dr. Rainer Glawion
(bis 2019: Professur für Physische Geographie, Fachbereich Biogeographie, Landschaftsökologie und Umweltplanung, Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen, Universität Freiburg)
Wir Bürger von Kirchzarten kennen das aus eigener Erfahrung: Im Sommer, wenn die Temperaturen mal wieder die 30-Grad-Marke knacken, freuen wir uns auf die abendliche und nächtliche Abkühlung durch einen frischen Wind, der unsere Wohnungen bei weit geöffneten Fenstern durchströmt und die Hitze aus den Häusern vertreibt. Er ersetzt jede stromfressende Klimaanalage und sorgt auf ganz natürliche Weise für ein angenehmes Schlafklima.
Was ist der Höllentäler und warum ist er so wichtig für uns?
Der Höllentäler besteht aus zwei lufthygienisch besonders wirksamen Zweigen des Berg-Talwind-Systems, das in Gebirgen wie dem Schwarzwald bei autochthonen Wetterlagen (Wetterlagen mit geringen übergeordneten Luftaustauschprozessen) aktiv ist. Genau diese austauscharmen Wetterlagen erzeugen die berüchtigten Hitzewellen im Sommer, wo man den Eindruck hat, die heiße Luft „steht“. Dann kommt diesen Berg-Tal-Flurwinden besondere Bedeutung zu, weil sie das Bioklima des Menschen aus medizinmeteorologischer Sicht erträglich machen.
Die sommerlichen Hitzeperioden, die durch den Klimawandel von Jahr zu Jahr intensiver und länger andauern, stellen einen immer größeren gesundheitlichen Risikofaktor für den Menschen dar: Medizinische Studien belegen zweifelsfrei, dass zahlreiche Todesfälle, insbesondere bei vulnerablen Gruppen (u.a. ältere Menschen, Kleinkinder) auf diese Hitzewellen zurückzuführen sind (siehe Stellungnahme von Prof. Dr. Gerd Jendritzky).
Die gute Luftqualität von Kirchzarten ist zu einem bedeutenden Anteil auf die klimaverbessernde Wirkung des Höllentäler-Bergwindes zurückzuführen. Die Verleihung des Prädikates «Luftkurort» an Kirchzarten ist eine Bestätigung dieser Tatsache.
Das Bergwindsystem genannt „Höllentäler“, das Kirchzarten und sogar Freiburg mit kühlender Frischluft versorgt, resultiert aus der nächtlichen Ausstrahlung des Bodens und Abkühlung der darüberliegenden Luftmassen in den Höhenlagen des Schwarzwalds. Die kaltluftproduzierenden Gebiete sind insbesondere die wiesenbestandenen Hochflächen (Raum Hinterzarten-Titisee, Feldberg, Schauinsland etc.). Die dort gebildeten Kaltluftmassen sind schwerer als die Warmluft und fließen katabatisch (der Schwerkraft folgend) in zahlreichen „Flüssen“ hangabwärts. In den Tälern sammeln sie sich und fließen in großen „Strömen“ in die Tiefebenen.
Die Kaltluftströme aus dem Höllental, dem Bruggatal, dem Wagensteigbachtal und weiterer Seitentäler sammeln sich im Zartener Becken zum „Höllentäler“, der dann durch Kirchzarten und Freiburg hindurch in die Oberrheinebene fließt. Für Freiburg hat der Seitenarm aus dem Bruggatal wegen seines großen Volumenstroms von 500 m³/sm die größte Relevanz, für Burg-Birkenhof ist es der Arm aus dem Höllental, der mit 350-400 m³/sm eine herausragende Bedeutung für die Kalt- und Frischluftzufuhr für diesen Ortsteil innehat.

Mit einem Volumenstrom von 350-400 m3/sm stellt der aus dem Höllental kommende Ast dieses Bergwindsystems einen bedeutenden Lieferanten von Kalt- und Frischluft für die Birkenhofsiedlung dar, die unmittelbar in diesem Luftstrom gelegen ist (Ausschnittvergrößerung siehe unten). Ein Querriegel durch Geschosswohnungsbau würde diesen Kaltluftstrom blockieren.
Quelle: Deutscher Wetterdienst (DWD)

Sichtbare Erscheinungsformen dieser Bergwindsysteme sind die Inversionswetterlagen (d.h. Wetterlagen mit Temperaturumkehr: warme Luft liegt über der Kaltluft) im Herbst, wenn der Oberrheingraben im kalten Nebel „ertrinkt“ und in den Höhenlagen des Schwarzwalds purer Sonnenschein und warme Temperaturen zu Spaziergängen einladen.
Ist der Höllentäler-Frischluftwind nur ein Phantom?
Warum wird die Frischluftströmung, die nachgewiesen aus dem Höllental kommt, nicht auf den Klimaplanungskarten abgebildet? Ist dieser kühlende Wind, den jeder Bürger von Burg-Birkenhof bei entsprechenden Wetterlagen am eigenen Körper fühlt, nur Einbildung? Ein Phantom?
Nein – er existiert tatsächlich! Aber warum zeigen ihn die Klimaplanungskarten, z.B. die Planungshinweiskarte Hitze & Kaltluft der Klimaanalyse Baden-Württemberg, nicht? Siehe https://www.klimaatlas-bw.de/landesweite-klimaanalyse
Dazu müssen wir kurz einen Blick auf die Entstehungsweise von Klimaplanungskarten werfen: Sie zeigen die Auswertungs- und Interpretationsergebnisse verschiedenster Klimadaten durch Modellbildung (weitere Erläuterungen siehe unten: „Wie entstehen Klimaplanungskarten“).
Was sie nicht zeigen können: Die Lufttemperaturen fließender Bergwindsysteme bei autochthonen Wetterlagen. Aber genau das stellt der Höllentäler dar: Ein schnell fließender bodennaher Flurwind, der seinen Ursprung in den Kaltluftentstehungsgebieten im Einzugsbereich des Höllentals bis hinauf nach Hinterzarten hat und von dort kühle Luftmassen durch das Höllental in das Zartener Becken transportiert. Am Ausgang des Höllentals verteilt sich die Frischluft fächerförmig und bringt den Anwohnern von Kirchzarten-Burg und Innerort die ersehnte Abkühlung.
Und was passiert, wenn dem Höllentäler am Ausgang des Höllentals durch Bebauung ein Riegel vorgeschoben wird? Da der Flurwind nur eine geringe Höhenausdehnung von wenigen Metern hat, würde er umgelenkt und die Häuser der Siedlung nicht mehr erreichen (siehe Karte zur prognostizierten Umlenkung des Höllentälers). Die Folge wäre, dass der Luftaustausch in Burg-Birkenhof beeinträchtigt wird: Die Tageshitze und Schadstoffe aus dem Verkehr der benachbarten Bundesstraße 31 stauen sich in der Siedlung und werden nicht mehr durch Frischluft ersetzt. Auch das Prädikat «Luftkurort» wäre hinfällig.
Wer genauer erfahren möchte, warum Klimaplanungskarten den Höllentäler nicht oder nur auswahlweise zeigen können, möge die folgenden Erläuterungen lesen:
Wie entstehen Klimaplanungskarten?
Klimaplanungskarten (auch „Planungshinweiskarten“ oder „synthetische Klimafunktionskarten“ genannt) bilden eine wichtige Grundlage für städtebauliche Planungen insgesamt, insbesondere für die Bauleitplanung und für die Umweltverträglichkeitsprüfung. Daher ist es für Entscheidungsträger wichtig, dass sie über den Entstehungsprozess und die Aussagefähigkeit dieser Karten für bestimmte planerische Fragestellungen informiert sind.
Das Klimamessnetz des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist als Grundlage für detaillierte und flurstücksscharfe Klimaanalysen (wichtig für die Bebauungsplanung) zu weitmaschig. Im Dreisamtal existieren keine Klimastationen, mit denen Lufttemperaturen oder Windströmungen langfristig gemessen werden. Die Ersteller der Klimaplanungskarten sind daher auf die Interpolation und Modellierung der verfügbaren Klimadaten vom Messpunkt in die Fläche angewiesen.
Aber selbst das beste Modell wäre viel zu ungenau, müsste man sich allein auf die Daten der wenigen Klimastationen stützen. Also wie bekommt man genaue Flächeninformationen? Es gibt drei Parameter, die flächenhaft mit hinreichender Geländeauflösung erhoben werden können und in die Auswertung von Klimaplanungskarten einfließen:
- Digitale Geländemodelle (DGM). Diese werden aus der Geländetopografie generiert und zeigen flächendeckend Höhenunterschiede mit einem Genauigkeitsgrad von Metern bis Dezimetern an. Sie werden zur Modellierung von Luftströmungen ausgewertet, die als Flurwindsysteme entlang des Schwerkraftgefälles fließen.
- Infrarot-Luftbildkartierungen (auch Thermal- oder Wärmebildkartierungen genannt). Speziell ausgerüstete Messflugzeuge befliegen ein Kartiergebiet streifenförmig und fotografieren das Gelände mit Infrarot-Kameras. Bei großflächigen Kartierungen werden Satellitenbilder verwendet. Mit einer speziellen Software werden die Einzelbilder zu einem Gesamtmosaik zusammengesetzt. Dieses wird zur Darstellung der langwelligen Ausstrahlung des Bodens ausgewertet.
- Kartierungen der Oberflächenbedeckung. Aus topografischen Karten oder aus Befliegungen (zur Gewinnung von „Falschfarbenbildern“ zur besseren Darstellung der Vegetation) werden Bodenbedeckungstypen abgeleitet, wie z.B. Wiesen, Wälder, Äcker und versiegelte Flächen (Siedlungen und Verkehrsinfrastruktur). Eine Karte der Oberflächenbedeckungstypen Deutschlands kann z.B. aus der Datenbank von CORINE Land Cover generiert werden. Der Datensatz kann hier heruntergeladen werden: https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-flaeche/flaechensparen-boeden-landschaften-erhalten/corine-land-cover-clc Die Art der Bodenbedeckung gibt Aufschluss darüber, ob eine Fläche als Kaltluft-, Kühlluft-, Warmluft- oder gar Schadstoffproduzent in Betracht kommt.
Diese flächenhaften Informationen werden nun überlagert und je nach Fragestellung durch Modelle ausgewertet. Eine beliebte Fragestellung für städtebauliche Planungen ist z.B., wo sich in einem Ballungsraum Kaltluft- oder Frischluftproduktionsgebiete befinden, die aus Gründen der Lufthygiene und des Klimaschutzes nicht überbaut werden sollen. Dies lässt sich relativ einfach aus den Infrarot-Luftbildkartierungen und den Oberflächenbedeckungstypen ableiten.
Was können Klimaplanungskarten nicht oder nur unvollständig zeigen?
Schwieriger wird es, wenn die Eigenschaften und die Dynamik der Frischluftströme, d.h. deren Lufttemperatur, Fließrichtung und Fließgeschwindigkeit, vertikale Mächtigkeit und Durchsatzvolumen berechnet werden sollen. Hierzu reichen die Informationen aus den verfügbaren Datengrundlagen in vielen Fällen nicht aus. Entscheidend ist: Auch die flächenhaft erhobenen Klimadaten zeigen nicht die Lufttemperatur oder die Luftmassendynamik der Kaltluftströmungen. Die Infrarot-Luftbildkarten zeigen nur die langwellige Ausstrahlung der Bodenoberfläche an, aber nicht die Temperatur der darüber hinwegströmenden Luftmassen.
Zwischen diesen beiden Klimaparametern (Bodenausstrahlung und Lufttemperatur) gibt es erhebliche Differenzen: Z.B. kann eine Siedlung im Dreisamtal durch die intensive Sonneneinstrahlung des Tages stark aufgeheizt sein und produziert daher eine intensive langwellige Ausstrahlung (Wärmeabstrahlung). Der am Abend einsetzende Höllentäler bringt aus den höheren Gebirgsregionen Kaltluft ins Tal, die über den aufgeheizten Siedlungskörper hinwegstreicht und den Menschen Abkühlung verschafft. Was registriert aber die Infrarotkamera der Thermalbildbefliegung an dieser Stelle? Nur eine Wärmeinsel. Von Kaltluft keine Spur. Auch wenn die Klimamodelle aufgrund ihrer unzureichenden Datenlage den Höllentäler nur unvollständig anzeigen können, darf er wegen seiner gesundheitlichen Bedeutung für den Menschen bei Bauvorhaben nicht ignoriert werden. Klimaschutz ist Menschenschutz! Bauvorhaben dürfen die Frischluftströmung nicht blockieren oder umlenken.
Gibt es eine Methode, um den Höllentäler direkt nachzuweisen?
Ja, die gibt es; sie ist aber mit einigem messtechnischen Aufwand verbunden. Über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren müssen mobile Messstationen mit Datenloggern (automatisch aufzeichnende Datenspeicher), die die Lufttemperaturen sowie die Windrichtung und -geschwindigkeit kontinuierlich messen, an repräsentativen Standorten im Einzugsbereich des Höllentälers und des geplanten Baugebietes aufgestellt werden. Bei autochthonen Wetterlagen im Sommer kann die Fließrichtung des Flurwindsystems zusätzlich durch Rauchkerzen sichtbar gemacht werden. Rauchkerzen wurden in der Geländeklimatologie zum Nachweis von bodennahen Flurwindsystemen häufig verwendet, bevor automatische Messstationen zum Einsatz kamen.
Was ist die Konsequenz für das geplante Bauvorhaben auf der Rainhofwiese?
Belastbare Prognosen über die Beeinträchtigung des Höllentäler-Frischluftsystems durch eine Bebauung der Rainhofwiese können wegen fehlender Datengrundlagen zur Zeit nicht erstellt werden. Daher müssen Klimamessungen über einen Zeitraum von mindestens 3 Jahren vor Ort durchgeführt werden und in ein umfassendes Umweltgutachten einfließen, bevor ein Bebauungsplan aufgestellt wird.